TRACKLIST
- OUVERTURE [03:01]
- SHALL I COMPARE THEE TO A SUMMER’S DAY [07:40]
- BONES BASH [03:56]
- TIME [08:29]
- DELAYED [13:52]
- INSIDE OUT [13:20]
- VERTIGO [17:40]
saxophones & woodwinds: Heinrich von Kalnein, Christoph Pepe Auer, Patrick Dunst, Sebastian Gille, Martin Harmstrumpets & flugelhorns: Bernhard Nolf, Axel Mayer, David Jarh, Martin Ohrwaldertrombones: Reinhard Summerer, Carlo Grandi, Adam Ladanyi, Hannes Oppel syntheziser & keys: Uli Rennert electric & acoustic bass: Manu Mayr drums:Gregor Hilbe percussion: Conrado Molina
vocals, electric trumpet, keyboards & kalimba:Horst-Michael Schaffer
Special Guests: spoken word on TIME: David Kennedy trumpet on DELAYED:Sebastian Studnitzky
Recorded at RSL-Studio Novo Mesto, Slovenia July 26 – 31, 2015. Engineered by Dietz Tinhof and Bojan Pahljina. Musical supervision by Fulvio Zafret.
David Kennedy was recorded at Side, London, Great Britain, engineered by Steve Parker.
Sebastian Studnitzky recorded himself in August 2015, somewhere on a Greek island.
Additional overdubs and edits August 9 – 12, 2015 at »The Box«, Graz, Austria, engineered by Christopher Frank.
Mixed September – December 2015 at the Swoon Factory Vienna, Austria by Dietz Tinhof. Mastered December 20, 2015 by Martin Scheer.
Graphic artwork by Peter Hoffmann (www.glashaus-design.com). Photos by Julia Wesely (www.julia-wesely.com)
All compositions by Horst-Michael Schaffer
Produced by Horst-Michael Schaffer
Executive Producer: Heinrich von Kalnein for Natango Music
Huch, der Bandname verheißt ja erst mal nix Gutes! Doch einmal mehr würde vorurteilsbasierte Nichtbeachtung hier zu empfindlichen Verlusten bei der Wahrnehmung guter Musik führen. Die Grazer verwandeln gleich nach der “Overture” einen von Sänger und Trompeter Horst-Michael Schaffer ganz wunderbar intonierten Popsong (mit Shakespeare-Text) innerhalb von reichlich 7 1/4 Minuten mühelos in ein lmprovisationsstück (und fast wieder zurück), nur um dann sofort mit dem auf einer stehende Klangwelle surfenden “Bones Bash” beinahe ambient weiterzumachen. Wohlgesetzte Bläser, solo oder unisono, verhalten oder packend, tönen im Dienste eines Gesamtklang- Bilds. Minimal findet sich hier, Klassikanleihen, der erwähnte Pop, auch Verträumtes jedoch nichts Banales. Genregrenzenlos.
Karsten Zimalla – Westzeit März 2016
Mit „True Stories“ beendet die Jazz Big Band Graz (JBBG) eine Plattentrilogie, die das österreichische Ensemble zunächst ins Reich zeitgenössischer Club-Electronic und Spoken- Word-Coolness („Electric Poetry“, 2008), dann in die Gefilde orchestraler Weltmusik („Urban Folktales“, 2012) führte.
Der Beginn von „True Stories“ macht deutlich: Nun sind die Österreicher und ihre internationalen Gefährten wieder heimgekehrt. In der „Ouverture“ ist Mahler zu hören und auch ein bisschen Volksmusik; jedenfalls meint man, die Sonne über den Alpen aufgehen zu sehen. Doch die Verbeugung vor der österreichischen Musikkultur erweist sich als hübsche Finte – der weitere Verlauf von „True Stories“ zeigt nämlich, dass sich die von Horst-Michael Schaffer und Heinrich von Kalnein angeführte JBBG so gut wie überall heimisch fühlt.
„Shall I Compare Thee To A Summer’s Day“ verknüpft ein von Sänger und Komponist Schaffer wie ein Pop-Song dargebotenes Shakespeare-Sonett mit einem angedeuteten Afrogroove in 6/8. Hat man sich daran gewöhnt, wird man mit „Bones Bash“ hinterrücks in eine alptraumhafte Welt gestoßen, in der es gespenstisch schnauft und eine Bassklarinette ihr Unwesen treibt. „Time“ kombiniert dann eine raunende Erzählerstimme mit Miles-Davis-Allusionen aus der „Tutu“-Zeit, Clicks & Cuts und effektvoll-minimalistischen Bass-Patterns. „Delayed“ fängt an wie eine Grußkarte an Jean-Michel Jarre oder Tangerine Dream, um dem JBBG-Gast Sebastian Studnitzky an der Trompete die Gelegenheit zu geben, sich als würdiger Wiedergänger Palle Mikkelborgs zu präsentieren. Und nach dem 17-minütigen Abschlussstück „Vertigo“, das in einem süßen Schwindel spanische Folklore, armenische Hirtenflöten, Snarky Puppy und einen verlangsamten Plattler zum gemeinsamen Schweben bringt, dürfte endgültig klar sein: Die JBBG zeigt, wie eine moderne Bigband klingen kann, ja vielleicht muss.
Josef Engels – RONDO April 2016
Unter der Leitung des deutschen Saxofonisten und Flötisten Heinrich von Kalnein und des österreichischen Trompeters und Vokalisten Horst- Michael Schaffer kreierte die 1998 gegründete Jazz Bigband Graz in den letzten Jahren nicht weniger als einen völlig neuen Bigbandsound mit Kultstatus. Nach ihrem Elektronikausflug “Electric Poetry” (2008) und der orchestralen Reise “Urban Folktales” (2012) präsentiert die JBBG nun mit “True Stories” eine nicht minder kultwürdige Verbindung ihrer popmusikalischen Wurzeln mit Jazz, Minimal Music und nicht zuletzt klassischen Elementen, die sich an Komponisten wie Gustav Mahler und Igor Strawinsky orientiert.
BILDTRÄCHTIGE GESCHICHTEN – GRANDIOSE SPANNUNGSBÖGEN
Jede Komposition aus der Feder Horst-Michael Schaffers erzählt eine andere Geschichte, die jeweils spielerisch und frei, aber dennoch mit ausgeprägtem Sinn für den inneren Flow und einem schlüssigen Gesamtbild umgesetzt wird. Musikalisch in Szene gesetzt von einem personell zur Hälfte neubesetzten Ensemble, dem der Drummer Gregor Hilbe, der Keyboarder Uli Rennert, der Saxofonist Sebastian Gille, der Bassist Manu Mayr, der Multiinstrumentalist Patrick Dunst sowie – als Gast – der Trompeter Sebastian Studnitzky angehören. Musiker, die in grandiosen, bis zu fast 18-minütigen Spannungsbögen überaus bildträchtige Geschichten erzählen, in die deklamierte und gesungene Texte eingebaut werden, spannende Grooves mit klanglicher Reduktion und packenden Soli wechseln, ebenso homogene wie transparente Klangbilder dominieren. Generiert von einem Organismus, der sich auch mit dem vorläufigen Schlusspunkt seiner Neo- Bigband-Trilogie als Klangkörper erweist, der in der Welt des Jazz seinesgleichen sucht!
NDR Jazzredaktion – Thomas Haak März 2016
“Eine stimmige Balance zwischen archaischer Minimal-Music, klassischen Bezügen auf Mahler oder Strawinsky und bunten Pop-Sprenkeln finden. … Die JBBG agiert mutig, intelligent und nachvollziehbar. Womit sie die Rolle der Bigband definitiv neu definiert.”
Reinhard Köchl – Jazzthing April 2016
Seit ihrem Gründungsjahr 1998 gehört die JBBG zu den innovativsten groBorchestralen Klangkörpern des europäischen Jazz. Ab 2003 übernahmen der deütsche Saxophonist Heinrich von Kalnein und der österreichische Trompeter Michael Schaffer als Doppelspitze die Leitung der Bigband und das Profil wurde noch einmal mehr geschärft. Heute ist ihr Weg, zeitgenössische musikalische Strömungen und Stilelemente mit großer Konsequenz und ohne Reibungsverluste stimmig mit einem jazzbasierten Klangkonzept zu amalgamieren, in der Welt der improvisierten Musik einzigartig und ohnegleichen.
“True Stories” könnte man als den abschließenden Teil einer Trilogie lesen, die vor acht Jahren mit “Electric Poetry & Lo-Fi Cookies” ihren
Anfang nahm und die über “Urban Folktales” 2012 jetzt mit der neuen Einspielung “True Stories” zu ihrem Abschluss findet. Traten bei ,,Electric Poetry” noch elektronische Elemente und Sounds in den Vordergrund der Kompositionen, waren das beim Nachfolger “Urban Folktales” mit folkloristischen Klängen angereicherte orchestrale Breitwand-Sounds, die sich zu einer übenaschend bündigen Klanglandschaft verfugten. “True Stories” wendet sich jetzt dezidiert dem Pop und Rock zu. Schaffer – als alleiniger Komponist – orientiert sich glücklicherweise nicht an den meistenteils mediokren und einfältigen Elaboraten, die überwiegend in den aktuellen Charts zu finden sind. Eher schon an den wöchentlichen Bestenlisten jener Dekaden, als rockmusikalische lnnovationen noch den Nebeneffekt hatten, dass sie nicht nur soziokulturell relevant waren, sondern auch mit vorderen Plätzen in den Hitparaden belohnt wurden. Die Furchtlosigkeit, mit der Schaffer, von Kalnein und die JBBG sich in dieses Abenteuer gestürzt haben, ringt mir Respekt ab. Wie leicht hätten sie Gefahr laufen können auf anachronistischen Grund zu laufen. Die ineinander übergehenden Stücke “Bones bash” und “Time” evozieren beispielsweise Pink Floydsche Schwebezustände, Besitzen sogar die Chuzpe klangarchitektonisch ganz nah an die Klassikerkombination “0n the run” und “Time” vom Überalbum “Dark Side of the Moon” heranzurücken, um dann mit lyrischem Bassklarinettensolo und Gedichtrezitationen Auswege zu finden, die unerwartet aber durchaus konkludent sind.
Vielleicht ist die JBBG die derzeit am “europäischsten” klingende Großformation. Eine Bigband, die ganz ohne Muskelspiele auskommt, die vielmehr auf nuancierte Klangfarben, auf ein sehr feines und subtiles Ton- und Rhythmusgeflecht setzt und die die Traditionen dennoch zu bewahren weiß. Selbst wenn die Musik mal in minimalistisch-abstrakte Sphären abkippt, verliert sie nie ihre Wärme und ihre Zugewandheit. Für wahr Balsam für die Ohren wacher und aufgeschlossener Hörer.
Thorsten Hingst – Jazzpodium April 2016
… Das musikalische Spektrum ist insgesamt überwältigend. Auf die orchestrale, klassisch anmutende Komposition „Overture“ folgt das beschwingte, poppige und eingängige „Shall I compare thee to a summer ́s day.“ Im Verlauf des Albums folgen elektronische Spielereien, spoken Word-Passagen und eine kräftige Brise Pink Floyd. Manchmal könnte man sich dieses Album, in einer besseren Welt freilich, im sogenannten Hit-Radio vorstellen. Fröhlich vor sich hinpfeifend ließe es sich hervorragend bei einer lange Autofahrt mit ganz viel Sonnenschein genießen. Just wenn das passiert kratzt es die Kurve und wird seltsam und schräg, behält dabei aber immer auch die versöhnliche, einladende Komponente.
Dieses Album möchte nicht sperrig oder gewollt avantgardistisch sein. Es will bunt, lebendig, vielfältig und spielerisch sein. Nach einer gewissen Zeit hört man außerdem auf zu zählen, wie oft hier falsche Fährten gelegt werden und wie oft mit den Erwartungshaltungen der Hörerinnen und Hörer auf überaus geschickte und innovative Art und Weise gespielt wird.
Ein herausragendes Album somit, das zeigt, wie eine „große Band“ im Heute klingen könnte. Welche Möglichkeiten dieser offen stehen. Und wie zeitgemäß und gegenwärtig eine solche Band klingen kann. Aus vielfältigsten Einflüssen wird hier eine hochinteressante Musiksprache entwickelt, die eine perfekte Antwort auf die aktuelle Unübersichtlichkeit in der Musikszene und der Fragmentierung der Einflüsse und Stile vorlegt. Das Album macht Vorschläge, wie ein großes Ganzes klingen könnte, bei dem Gustav Mahler mit Paul Simon ein Tänzchen wagt und dazu Jazz im Hintergrund läuft.
Markus Stegmayr – Alpenfeuilleton März 2016
“Ich denke, bei uns passiert etwas ganz Besonderes, das die Grenzen von Jazz, Pop, Minimal Music und einigem mehr überschreitet. Nicht schlecht für ein Big-Band-Konzept, oder?“ meint Trompeter und Komponist Horst-Michael Schaffer (HMS), der gemeinsam mit dem Saxofonisten Heinrich von Kalnein (HvK) die Jazz Big Band Graz leitet.
„In gewisser Weise ist ‚True Stories’ der Abschluss einer musikalischen Trilogie, die mit ‚Electric Poetry’ und ‚Urban Folktales’ begonnen hat und in der wir die Rolle einer Big Band eindeutig neu definieren. Ich bin gespannt, wo es als nächstes hingeht!“ – so HvK zur Produktion.
Auf ihrem achten Tonträger beweisen die 18 Musiker aus 7 Ländern einmal mehr ihre internationale Vorrangstellung. Trotzig und eigenständig behaupten sie sich seit 1998 als lebender Anachronismus: Eine Big Band in Zeiten, da überall gespart wird und es immer weniger Veranstalter gibt, die sich „so etwas antun“ wollen. Dabei gäbe es zahlreiche Gründe, die JBBG mit ihrem neuen Programm auf die Bühnen zu holen.
Auf „True Stories“ wartet die JBBG nicht nur mit neuem Line-Up auf (u.a. sind die Holzbläser Patrick Dunst und Sebastian Gille sowie der Bassist Manu Mayr neu dabei); HMS gibt in ausladenden und suitenartigen Kompositionen seiner Verehrung für Gustav Mahler, Igor Stravinsky, Ennio Morricone oder Philip Glass Ausdruck, wobei er dem runderneuerten Klangkörper opulente, edle Klänge zu entlocken weiß. Uli Rennert mit seinen wichtigen, nie aufdringlichen
Keyboardsounds, aber auch Christoph Pepe Auer, Martin Harms, Bernhard Nolf, Axel Mayer, David Jarh oder Gregor Hilbe sind als bewährte Klangpiloten mit an Bord. HvK: „Jede Story, jedes Stück stimmt für sich, und in einem vielleicht postmodernen Sinn gehen wir sehr spielerisch und frei mit den unterschiedlichen Gestaltungselementen um.“
Mit technischem und logistischem Großaufwand wurde im Juli 2015 im slowenischen Novo Mesto aufgenommen. HMS, dieses Mal allein für alle Kompositionen verantwortlich, ist nicht nur als Trompetensolist, sondern auch als Sänger zu hören – etwa in der Shakespeare-Vertonung „Shall I Compare Thee To A Summer’s Day“, die wie ein Popsong beginnt und plötzlich mit einem fulminanten Sopransax-Solo von HvK in Richtung Jazz abbiegt. HMS: „Wir hatten vorher schon intensive Satzproben. Das Stück ‚Vertigo’ hat eine sehr herausfordernde Rhythmik; im Grund sind es Sechzehntelnoten, die über zwei 4/4-Takte als 5/5/3/5/5/4/5 gruppiert sind. Ich ließ die Band diesen Groove monatelang klatschen und üben, bis er ganz selbstverständlich wurde.“
Als spezieller Gast tritt der deutsche Trompeter Sebastian Studnitzky auf; er spielt in „Delayed“ ein gefühlvolles Solo über einem aufwühlenden Rhythmusteppich. In Weiterentwicklung der typischen JBBG-Ästhetik kommen auf der neuen CD Human Electronics zum Einsatz – perkussive Sounds an den Bläsermundstücken, die live verarbeitet und in die subtilen Klangtexturen eingewebt werden. Da waren sogar die Kollegen voll des Lobes: Grammy-Gewinnerin Maria Schneider und der britische Big-Band-Zauberer Colin Towns kamen beide während der Aufnahmen vorbei. Towns meinte: „Das ist Musik für Kopf, Herz und Füße, die das Großensemble im 21. Jahrhundert neu definiert.“
Martin Schuster – Concerto April 2016
Panta rhei alles fließt, heißt es in der altgriechischen Philosophie. In der Musik finden sich bis heute die schönsten Beispiele für in sich stimmige Verschmelzungen von Stilen und Klangfarben, von Notentext und engagierter Improvisation. Der Zauber, der da bisweilen freigesetzt wird, lässt sich in dem trockenen Begriff Postmoderne nur unzureichend beschreiben.
Was die 1998 gegründete Jazz Bigband Graz um den deutschen Saxofonisten und Flötisten Heinrich von Kalnein sowie den Sänger und Trompeter Horst-Michael Schaffer bei ihrem Geniestreich ,,True Stories” aufblättert, ist ein offenes Buch zeitgenössischer Sound-Errungenschaften, die bis ins kleinste Detail klanglich einen individuell zugeschnittenen Rahmen erhalten.Trotz der Fülle der Ideen wirkt die suitenartige Musik wie aus einem Guss: die Opulenz eines großen Orchesters, aufgelockert durch Kurzsoli und Schaffers elegischen Pop gesang, meditativer Ethno-Jazz, eine Prise Minimal Music, die in mitreißende, rhythmisch dynamisch befeuerte Sax-Exkurse mündet. Man will diese fesselnd sinnlichen ,,True Stories” wieder und wieder hören, immer neue Entdeckungen machen.
Stereoplay März 2016
Achtung! Bei der “Jazz Bigband Graz” ist nicht drin, was vermeintlich draufsteht. Weil das Ensemble nicht den Sound liefert, den man landläufig beim Schlagwort “Big Band” im Ohr hat. Die Gruppe mit fünf Saxophonisten, je vier Posaunisten und Trompetern, ist keine Swingband, keine Version des Glenn-Miller-Orchesters.
Ist das schlecht? Keinesfalls. Den Beweis liefert ihr aktuelles Album “True Stories”, auf dem sich eben ein großer Klangkörper präsentiert, der Kenner mit Raffinessen hellhörig werden lässt. Und Genrefremde mit Melodien aus einem Guss umarmt.
Die dahinfließende “Ouverture” erinnert an einen musikalischen Sonnenaufgang, wie Klassik nach Mahler, auf und ab schwelend, von Bläsern zu Leben erweckt. Das Werk “Time” (8,29 Min.) fühlt sich wie eine Hommage an die nervöse Grundenergie des Jazz an. Geschmeidig gedämpft, aber auch rhythmisch akzentuiert. Ein Bild für die Ohren, es zeigt das Ticken der Uhr sowie die Illusion einer getakteten Weltordnung. Entstanden ist die Band bereits 1998, seit 13 Jahren wird sie vom deutschen Saxophonisten Heinrich von Kalnein und dem Steirer Horst- Michael Schaffer geleitet. Von dem Trompeter stammen die “True Stories”- Kompositionen.
Shakespeare ganz leichtfüßig. Damit ihre kleine “Armee” – die volle Besetzung umfasst 18 Profimusiker – orchestrale Harmonie bieten kann, müssen die Künstler hohen Ansprüchen gerecht werden. “Wir erwarten, dass sie an Ensemblestellen beinahe wie klassische Musiker agieren können. In den Momenten, in denen jemand ein Solo spielt, dass er auch seine Persönlichkeit auspackt. Das macht, was er gut kann”, erklärt Heinrich von Kalnein im “was ist los?”- Gespräch.
Die Ästhetik ihres Sounds sei über die Jahre gewachsen, mit Mut zum Unkonventionellen. Unter Bandleader Schaffer wurden Minimal, afrikanische wie elektronische Elemente sowie Drum‘n‘Bass mit einbezogen, Affinität zum Pop ist nichts Fremdes, wie die Stärke des Worts. In “Shall I Compare Thee To A Summer‘s Day” (7,40 Min.) wird etwa Shakespeares gleichnamiges “Sonett 18” von leichtfüßigen, fast karibischen Klängen getragen. Ziel ist, erklärt von Kalnein, für jede Produktion einen unverwechselbaren Sound zu schaffen.
Nora Bruckmüller – Oberösterreichische Nachrichten April 2016
Großformatiger Jazz, der eigentlich nicht wirklich einer ist, sondern seine ganz eigenen Klangblüten treibt, genau einen solchen bekommt man auf „True Stories“ (Natango Records), dem neuen Album der JAZZ BIGBAND GRAZ, geboten.
Die mittlerweile achte CD-Produktion der seit 1998 bestehenden Jazz Bigband Graz reiht sich nahtlos in die Reihe der bisherigen hochklassigen Veröffentlichungen dieses außergewöhnlichen Orchesters. Wie immer musikalisch nur schwer einem bestimmten Stil zuzuordnen, ertönen auf „True Stories“ einmal mehr Nummern, die die HörerInnen auf eine wunderbar ereignisreiche Klangreise mitnehmen. Mit dem klassischen breiten Bigband-Sound hat das, was die von dem kongenialen Duo Horst-Michael Schaffer (Trompete, Gesang) und Heinrich von Kalnein (Saxofon, Flöte) erneut hochklassig zusammengestellte Truppe – mit von der Partie sind unter anderem Sebastian Gille, Patrick Dunst, Manu Mayr, Christoph Pepe Auer und Uli Rennert – auf den Weg bringt, – wenn überhaupt – nur sehr bedingt etwas zu tun. Denn dafür geht es in den einzelnen und in einen weichen und warmen Klang gehüllten Stücken einfach in zu viele verschiedene Richtungen, Atmosphären und Intensitäten.
Das stilistische Feld, das sich die JBBG absteckt, zeigt sich als ein sehr weites und reicht vom Jazz über den Pop und die Klassik bis hin zur Minimal Music. Aber es ist nicht allein die musikalische Vielfalt, die auf „True Stories“ den entscheidenden und damit fesselnden Ton angibt. Die besondere Art, wie die einzelnen Elemente in lyrischer und stimmungsstarker Form zusammenwirken, macht den Unterschied. Die insgesamt sieben Stücke besitzen ihre ganz eigenen Schwingungen und entwickeln sich über detailreiche Arrangements, sich in ihrer Dramatik unentwegt steigernde Bögen, famose Soli, funkige Grooves, richtig schön unter die Haut gehende Melodien und schwungvoll verspielte Passagen zu eleganten und abwechslungsreichen Musikgeschichten, die einen von der ersten Sekunde an packen.
Die von Horst-Michael Schaffer und Heinrich von Kalnein geführte Bigband liefert mit „True Stories“ ein meisterhaftes Lehrbeispiel dafür ab, was wunderbar Schönes entstehen kann, löst man sich erst einmal von den althergebrachten Konventionen, um sich den Weg zu etwas Neuem zu eröffnen. Sehr empfehlenswert.
Michael Ternai – Music Information Center Austria, Februar 2016
Die ,,Overture” liefert einen klassisch sakralen Einstieg in die vielfältige Klangwelt des JBBG. Aus Minimal Music Ornamenten, mal verborgen, mal tragend, lösen sich mit unbestechlicher Logik immer wieder Mittelteile heraus, die genau dann, wenn es so weit ist, wieder im Hintergrund aufgehen. Einer dieser Mittelteile ist ,,Shall I Compare Thee To a Summer’s Day”. Kann man ein Shakespeare-Sonett im Gewand eines anspruchsvollen Popsongs interpretieren? Man kann! Der beseelte Gesang bleibt immer geschmackvoll eingebettet in den Kontext des JBBG-Klangkörpers. Danach gelingt der Sprung in eine quicklebendig jazzrockige Sopransax lmpro, angetrieben von Fusion Schlagzeug (Gregor Hilbe), quirligen E-Basslinien (Manu Mayr) und Retro-E-Piano (UIi Rennert), eingeleitet per Modulation.
Traditioneller Bigband Sound ist beim JBBG out: Die Bläser tun nicht das Erwartete, oft übernimmt besonders das Blech stattdessen tranceartige Minlmal-Parts, die ihnen abverlangen, minutenlange Viertelnoten Passagen durchzuhalten. Dies lohnt sich, weil es dem Ganzen dient und zwingend zur Atmosphäre auf True Stores beiträgt. Die Herausforderung wird von der neu zusammen gestellten Besetzung gern angenommen. Saxofonist Sebastian Gille und Perkussionist Conrado Molina sind neu dabei, die Posaunenbesetzung ist quasi runderneuert. Als Gast dabei: Sebastian Studnitzky an der Trompete, der sein Solo auf ,,Delayed” von einer griechischen lnsel aus beisteuerte.
Alles ist seit den Ietzten Produktionen Urban Follctales und Electric Poetry noch essenzieller. noch typischer geworden. Auf überflüssige Effekte wurde verzichtet. Urbanes und Ländliches verbindet sich organisch. und gern geht man mit dem JBBG auf Reisen, durch nächtliche Tunnel, über idyllische Klanglandschaften auf hochspannenden Brücken, von den Weiten Armeniens (,,Vertigo”) bis ins städtische Dickicht. ,,0bwohl wir unsere Musik zuallererst für uns selbst und unsere Ensembles machen, haben wir auch schon sehr früh unsere Hörer im Blick”, so von Kalnein. Und Schaffer: ,,Die Essenz der Kompositionen passiert immer irgendwo unterwegs, nie zu Hause am Schreibtisch, und wird meistens rudimentär ins Handy gesungen. Dann setze ich mich ans Fender Rhodes und verbringe viele Stunden damit, das Material zu prüfen. Erst später schreibe ich am Computer Minimalfragmente oder eine Melodie, die sich fast immer von allein weiterentwickelt. lch schreibe langsam und versuche, alles natürlich und detailgetreu abzubilden, was ich im Kopf höre. Das ist manchmal ein langwieriger und auch schmerzvoller Prozess, dabei höre ich so viele Farben und Möglichkeiten, dass ich mich meist auf ein paar Stilelemente festlegen muss. Ein Dreiminüter wird das dann nicht, aber ich versuche, den inneren roten Faden zu hören und zu spüren, wie dle Stücke gebaut sein müssen, damit sie zusammenpassen.”
David Kennedys in gediegenem Englisch intonierle Spoken Words auf ,,Time” könnten pathetisch klingen – sie tun es aber nicht, sondern verlelhen im Gegenteil den ihnen zugrundeliegenden Gedichten besonderes Gewicht. Die ersten vier Tracks gehen ineinander über und ergeben eine 23-minütige Suite. Von Kalnein bezeugt den ,,inneren Bogen, vielleicht auch die innere Haltung der Band, die alles schlüssig miteinander verbindet.” Die drei weiteren Stücke besitzen aufgrund ihres inneren Gefüges und ihrer Länge (je zwischen 13 und 17 Minuten) ihren eigenen Bogen. ,,Wenn man ein Stück mit Minimal-Music-Anklängen schreibt, ist klar, dass dieseine gewisse Länge braucht, um überhaupt zum Tragen zu kommen. Geschwindi gkeit ist eine tolle Droge; das weiß ieder Workaholic. Aber die Qualität leidet fast immer unter zu schnellem Tempo.”
ln ,,Delayed” klingt Morricone an,,,lnside Out” könnte man (im besten Sinne) als nächsten Bondsong vorschlagen. Das Stück evoziert gute dreizehn Minuten lang inneres Kino. ,,Das cineastische Denken verfolgt uns schon länger”, sagte von Kalnein. ,,Auch ,A Life Affair’ von 2004 haben wir, zumindest in der Postproduction, wie einen Hörfilm bearbeitet. lch glaube, das war Horsts ldee…?” Schaffer: ,,lch bin nicht wirklich Cineast, der Hunderte von Filmdialogen auswendig kennt, aber mir gefällt dieses groß gedachte Format des epischen Films, auch in der klassischen Musik. lmmer wieder kommen Leute nach einem Konzert zu mir und erzählen, dass meine Musik ungewöhnlich viele Bilder in ihren Köpfen hervorruft, Auf diese muss man sich aber einlassen, dann wird man mit einer schönen und sehr persönlichen Reise belohnt.”
Tatsächlich: JBBG’s True Stories bereiten großes Vergnügen. Dem internationalen Publikum sollte eine ausgedehnte Konzert-Tour vergönnt sein.
Jan Kobrzinowski – Jazzthetik Mai 2016