Shakespeare lässt grüßen
Vor gut einem Jahr hat JBBG Smål – GRAN RISERVA mit sehr großem Erfolg “Times of Change Vol.1″ herausgebracht. “Vol. 2” erscheint nun am 2. November. Shakespeare’s Sonnet “Shall I compare thee to a summer’s day?” spielt dabei eine besondere Rolle und gibt dem Album eine besondere Note.
Über die Band und die erste CD haben wir schon vor einem Jahr in einem Report über ‚Jazz in Österreich‘ berichtet. Schon damals war klar, dass es noch mehr Aufnahmen gab. Die liegen nun vor.
Mit Summer of 18 beginnt das Album, komponiert von Heinrich von Kalnein. Ich hab mir versichern lassen, dass es dabei nicht um den Sommer in Shakespeare’s Sonnet geht, sondern um eine Erinnerung an den Sommer 2018. Und der kommt locker flockig rüber. Das laszive Sax mäandert über einem bewegten Groove, Thomas Wilding bringt ein Bass-Solo ein, mit seiner gestopften Trompete führt Horst-Michael Schaffer das Stück zu einem harmonischen Schluss.
Coromandel ist ein kleiner Ort auf einer Halbinsel von Neuseeland. Nguyên Lê war wohl dort und hat das Stück komponiert. Vielleicht will er uns damit seine Reiseeindrücke mitteilen?
Wenn man will, kann man es heraushören: Ein exotisch klingendes Intro von Nguyên Lê auf seiner Gitarre und Uli Rennert an der Lapsteel Guitar schafft eine dem Titel entsprechende Atmosphäre, zeitweise rauscht das Meer (live electronics?). Sehr harmonisch dann das Flötensolo mit asiatischen Klängen, vielleicht pentatonisch, begleitet von der Trompete und von den langsamen, aber kraftvollen Drums von Tom Stabler. Der Komponist steuert ein Gitarrensolo mit viel Vibrato bei. Sax und Gitarre wiederholen dann mehrmals ein Thema, ein letztes Meeresrauschen und das Stück klingt aus. Recht geruhsam scheint es in Coromandel gewesen zu sein, aber kaum langweilig.
Where do we go from here? sang Peter Cetera der Band Chicago 1969 nach der Mondlandung. Das klang allerdings noch optimistischer als Where are we going?, das dritte Stück des Albums der JBBG. Das zentrale Motiv besteht aus nur zwei Tönen, das kennt man von Beethoven, hier allerdings mit einem Halbtonschritt nach unten. Und das zieht runter, mehr als der klassische Quintfall. Es baut aber auch Spannung auf, bei James Bond klingt es manchmal ähnlich. Verschiedene Solisten variieren das Thema, darunter die beiden ‚special guests‘ Nguyên Lê undWolfgang Puschnig, dieser diesmal mit dem Altsax.
The Conundrum of the Giraffe’s Head, komponiert von Uli Rennert, ist ein Rätsel in mehrerer Hinsicht. Dass Conundrum Rätsel bedeutet, konnte ich nachschlagen. Dass das Rätsel auch darin besteht, dass man die Länge der Giraffenhälse nicht erklären kann, habe ich erst über die Band erfahren. Das Stück lebt besonders von Wolfgang Puschnigs Flöten-Soli, die mich an Vogelgezwitscher erinnern, aber vielleicht sitzen die ja auf dem Giraffenkopf? Rätselhaft …
Das zentrale Stück der CD mit fast 10 min ist Shall I Compare von Horst-Michael Schaffer. Hier geht es um mehr als Erinnerungen und Gefühle. Ähnlich wie schon bei Inside Out auf dem ersten Album hier die Thematik des ‚Times of Change‘ im Vordergrund.
Schaffer singt zuerst einen selbst verfassten Text, in dem es um einen unbekannten Poeten geht, der durch seine Literatur ewig weiterlebt. Ist Shakespeare gemeint? Das klingt feierlich, fast schon weihnachtlich. Doch dann bauen Bassist und Drummer Spannung auf und auf diesem Hintergrund setzt Schaffer mit dem Shakespeare-Text ein. Es handelt sich um das Sonnet No. 18:
“Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date:
… But thy eternal summer shall not fade
Nor lose possession of that fair thou owest;
Nor shall Death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou growest:…”*
In diesem Gedicht geht es um eine Liebesbeziehung. Doch die JBBG hat sich wohl noch mehr dabei gedacht. ‚Rough winds‘ wehen auch uns um die Ohren und der ‚eternal summer‘ unserer bisherigen Lebensweise ist in der aktuellen time of Change wohl auch vorbei. Besitzstände sind gefährdet (lose possession), globale Bedrohungen (Death) nehmen zu.
Auch der Aufbau des Stücks steht für diese Entwicklung. Nach dem harmonischen Beginn wird die Begleitung zunehmend komplexer und lauter und geht in ein langes Saxsolo von Heinrich von Kalnein über, Uli Rennert spielt mit elektronischen Klängen Zukunftsmusik. Das klingt unruhig und man könnte es als Verunsicherung interpretieren, die Umbrüche meistens mit sich bringen. Im Outro dann wieder ein harmonischer Zusammenklang, denn am Ende des Sonnets heißt es ja:
‚So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this and this gives life to thee.‘
Wenn ich eine Rezension geschrieben habe, ist das Album für mich oft erstmal ‚abgehakt‘. Bei den Alben der JBBG ist das anders. Die höre ich mir auch später gerne noch einmal an und ich freue mich schon auf das nächste Album. Wann kommt die Band auch mal nach NRW? Heinz Schlinkert